"A Most Wanted Man": Abschied von einem verletzlichen Riesen (2025)

In "A Most Wanted Man" ist Philip Seymour Hoffman in seiner letzten Hauptrolle zu sehen. Als deutscher Spion zeigt er nochmals schmerzlich seine schauspielerische Größe.

Von Oliver Kaever

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Es kommt nicht oft vor, dass eine internationale Produktion mit Top-Stars aus den USA komplett in einer deutschen Stadt gedreht wird. Es sei denn, diese Stadt heißt Berlin. A Most Wanted Man aber spielt in Hamburg. Und die Stadt bekommt, wie schon in John le Carrés Romanvorlage mit dem deutschen Titel Marionetten, sogar eine Hauptrolle.

Aber der Spionage-Thriller A Most Wanted Man schreibt aus einem anderen Grund schon jetzt Filmgeschichte, und der hat mit der anderen Hauptrolle zu tun: Es ist einer der letzten Filme von Philip Seymour Hoffman vor seinem Drogentod. Danach wird er noch in den beiden Abschlussfilmen der Tribute von Panem-Trilogie und einem Krimi-Drama zu sehen sein, aber Günther Bachmann, der deutsche Geheimdienstler, ist seine letzte große Rolle. Und was für eine.

Vielleicht war die Nachricht von seinem Tod deshalb so unglaublich, weil Hoffman wie eine Naturgewalt über die Filme kam, in denen er spielte. Es erschien schlicht nicht vorstellbar, dass jemand, der so offensichtlich seine Berufung gefunden hatte und mit einem so genialischen Talent gesegnet war wie er, im wahren Leben keinen Halt gefunden haben sollte. Erst jetzt, mit ein wenig Abstand und bei der Beschäftigung mit seinem in seiner Vielfältigkeit kaum fassbaren Werk, wird klar, dass Philip Seymour Hoffman tatsächlich einer der ganz Großen des Weltkinos, vor allem des US-Kinos, war. Dass er aber im Gegensatz zu Landsleuten und Großschauspielern wie Pacino, Brando, De Niro, in deren Kategorie er zweifelsohne gehört, eine Zerbrechlichkeit bewahrte, eine Hypersensibilität und Schüchternheit, die beim Zusehen fast schmerzt. Der übergewichtige Philip Seymour Hoffman machte immer auch den nagenden Selbstzweifel sichtbar. Erst der machte ihn so überragend.

Dieser Gedanke muss nun Spekulation bleiben, aber es ist möglich, dass sein Günther Bachmann, wäre es nicht die letzte, eine seiner vielen unterschätzten Rollen geblieben wäre. Was im Gedächtnis bleibt, sind eher die spektakulären Auftritte wie im Oscar-prämierten Capote (2005) oder The Master (2012). Dabei brillierte Hoffman genauso mit eher stillen Figuren wie in Die Geschwister Savage (2007) etwa oder seiner einzigen Regiearbeit Jack in Love (2010).

Sein Günther Bachmann ist ein manischer Charakter, ein Besessener. Man sieht das an seiner ungesunden, fahlen Haut, man kann es ablesen an den ständigen Schnäpsen und zahllosen Zigaretten. Und da ist diese vibrierende Energie, die etwas Verzweifeltes hat, weil sie ständig gegen Mauern läuft. Aber nach außen hin bleibt Bachmann still, ein wenig linkisch und unsicher. Philip Seymour Hoffman unterläuft, wie der ganze Film, die Genre-Erwartungen, die man an einen Spionage-Thriller stellt. Wer Action erwartet und große Gesten, wird hier enttäuscht.

Ein Gezeichneter ist Günther Bachmann von Beginn der Geschichte an. Er musste in seiner Laufbahn einen empfindlichen Dämpfer hinnehmen, als er in Beirut eine Operation in den Sand setzt. Die genauen Hintergründe bleiben im Dunkeln, aber schon damals scheint die CIA an seinem Scheitern nicht unschuldig gewesen zu sein. Bachmann wird nach Hamburg strafversetzt, wo er eine halboffizielle Anti-Terroreinheit aufbauen soll. Hier arbeitet er wieder nach seinen eigenen Regeln.

Er sammelt lange Informationen, für den Geschmack seiner Vorgesetzten viel zu lange. Bachmann will verstehen. Verdächtige verhaftet er nicht gleich, sondern beobachtet sie. Er sucht nicht die spektakuläre Schlagzeile, sondern die Wahrheit und die Hintermänner. Die Welt besteht für ihn im Gegensatz zu seinen Chefs nicht aus Schwarz und Weiß. Und wenn er jemanden wie den russisch-tschetschenischen Flüchtling Issa Karpov beschatten lässt, weiß er nicht von vornherein, welcher Farbe der zugehört. Karpov kommt nach Hamburg und nimmt Kontakt zu dem britischen Banker Thomas Brue (Willem Dafoe) auf. Scheinbar will er an das Vermögen seines Vaters, das dieser während des Tschetschenienkriegs illegal zusammengerafft hat. Aber was hat Karpov damit vor? Will er Islamisten unterstützen, wie die CIA-Agentin Martha Sullivan (Robin Wright) vermutet? Oder ist er selbst Opfer, wie die idealistische Anwältin Annabel Richter (Rachel McAdams) glaubt?

So wie in der internationalen Filmwelt ist Hamburg auch beim sogenannten Kampf gegen den Terror ein Nebenschauplatz. Obwohl mit Mohammed Atta einer der Attentäter vom 11. September 2001 unbehelligt in der Hansestadt studierte. Das mag ein Grund dafür gewesen sein, dass John le Carré sie zum Schauplatz seines Romans machte. Auch, dass er für den MI6 selbst als Agent hier stationiert war und Hamburg gut kennt, spielte sicher eine Rolle.

Aber gerade die Tatsache, dass die reiche Hafenstadt Hamburg kein politisches Zentrum ist und weitab der Krisenherde der Welt liegt, macht ihren Reiz für Buch und Film aus. Der niederländische Regisseur und Musikfotograf Anton Corbijn inszeniert die Geschichte im Geist des Romans an der Peripherie geheimdienstlicher Tätigkeit und macht A Most Wanted Man mit seinem entschleunigten Erzähltempo zu einem melancholischen Manifest des Scheiterns.

Sein Film ist eine Meditation über die Arbeitsweise von Geheimdiensten. Hier versagen sie nicht etwa, weil sie etwas übersehen, sondern weil sie schlicht überfordert sind von der Komplexität der Verhältnisse. Günther Bachmann ist in diesem Kontext eine sehr deutsche Figur: ein Geheimdienstler, der in moralischen Kategorien denkt und von der hässlichen Wirklichkeit – und breitbeinig agierenden Amerikanern – ein ums andere Mal überrollt wird.

"A Most Wanted Man" läuft am Mittwoch, den 10. April, um 20.15 Uhr auf arte.

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Author: Delena Feil

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